Am 25. Mai 2009 ist das „Gesetz zur Modernisierung des Bilanzrechts (Bilanzrechtsmodernisierungsgesetz – BilMoG) in Kraft getreten. Das deutsche Bilanzrecht hat sich dadurch gravierend geändert. Zusammenfassend sind drei Zielstellungen dieses Gesetzes hervorzuheben:
- Die Regeln für die Offenlegung von Risiken werden verschärft. Damit wird die Aussagekraft von Bilanzen und das Vertrauen in die darin enthaltenen Angaben verstärkt.
- Viele kleine und mittelständische Unternehmen können bereits für das Jahr 2008 ihren Gewinn nach vereinfachten Verfahren ermitteln.
- Das Gesetz stärkt das deutsche Recht im internationalen Wettbewerb. Das HGB-Bilanzrecht wird bewahrt. Es dient dem Gros der deutschen Unternehmen weiterhin als Regelwerk. Es wurde zu einer dauerhaften und im Verhältnis zu den internationalen Rechnungslegungsstandards vollwertigen, aber kostengünstigeren und einfacheren Alternative. Die HGB-Bilanz bleibt Grundlage der Ausschüttungsbemessung und der steuerlichen Gewinnermittlung. Das bisherige System der Grundsätze ordnungsmäßiger Buchführung bleibt erhalten.
Warum Modernisierung des Bilanzrechts? Es sind neue Entwicklungen eingetreten – mit Konsequenzen, die unabdingbar in das Bilanzrecht eingearbeitet werden mussten. Gleichzeitig aber war darüber zu entscheiden, welche der bisher bewährten Rechtsnormen auch in der überschaubaren Zukunft noch zeitgerecht sein werden.
Modernisiert wird das Bilanzrecht – also nicht die Buchführung. Die Grundlagen der Buchführung mit der Führung von Journalen und Konten und die dazu eingesetzten technischen Verfahren sind nicht Gegenstand des genannten Gesetzes. Es geht nicht um die Verfahren und die Werkzeuge, sondern um das, was letztendlich produziert werden soll – das ist eine aussagefähige Bilanz.
Das genannte Gesetz wird als größte Reform des Bilanzrechts seit 20 Jahren bezeichnet. Das bezieht sich auf das Jahr 1985. Damals wurde das Bilanzrichtliniengesetz (BiRiLiG) verabschiedet. Es schnürte und bündelte ein ganzes Paket verbindlicher gesetzlicher Vorschriften, das alle bewährten Prinzipien der Buchführung einschloss. Besonders bewährt hat sich, dass mit diesem Gesetz ein neues, ein „Drittes Buch” in das Handelsgesetzbuch (HGB) aufgenommen wurde, das den Titel „Handelsbücher” trägt. Dem Kaufmann wird seither in klarer Sprache gesagt, welche kaufmännischen Aufzeichnungen er vornehmen muss und wie das zu geschehen hat. Der große praktische Wert dieser gesetzlichen Regeln liegt vor allem darin, dass sie das beinhalten, was ein Unternehmer im eigenen Interesse selbst vornehmen sollte, um den Überblick über seine Geschäftslage zu behalten, und was gleichzeitig von einem Steuerpflichtigen verlangt wird. Im Rückblick kann festgestellt werden, dass sich das Gesetz von 1985 voll und ganz bewährt hat.
Natürlich haben sich seit 1985 neue Entwicklungen vollzogen. Aus dieser Sicht wird die Zielrichtung des neuen Gesetzes als Modernisierung zutreffend benannt. Bewährtes wird nicht aufgegeben. Anpassungen werden dort vorgenommen, wo neue Bedingungen herangereift sind.
Was wird bewahrt?
- Das bewährte, kostengünstige und einfache HGB-Bilanzrecht wird auf Dauer beibehalten und für den Wettbewerb mit den internationalen Rechnungslegungsstandards gestärkt.
- Den Unternehmen, die in Deutschland und nicht im Ausland ihren Firmensitz haben, wird im Verhältnis zu den International Financial Reporting Standards (IFRS) eine gleichwertige, aber einfachere und kostengünstigere Alternative geboten.
- Die Vorzüge der Maßgeblichkeit des handelsrechtlichen Jahresabschlusses für die steuerliche Gewinnermittlung bleiben bewahrt.
- Die Eckpfeiler der handelsrechtlichen Rechnungslegung bleiben ebenso bestehen wie das System der Grundsätze ordnungsmäßiger Buchführung.
Welche wesentlichen Modernisierungen werden angestrebt oder angeordnet?
Als erstes sind wohl Maßnahmen zu nennen, die mit „Deregulierung“ zu bezeichnen sind.
Deregulierung bedeutet, dass Unternehmen von vermeidbarem Bilanzierungsaufwand entlastet werden. Viele Einzelkaufleute und Personenhandelsgesellschaften (OHG, KG), die nur einen kleinen Geschäftsbetrieb unterhalten, werden von Bilanzierungspflichten (nicht von Aufzeichnungspflichten!) befreit. Sie können ihren Gewinn durch Gegenüberstellung der Einnahmen und Ausgaben ermitteln und müssen die Entwicklung der Vermögenswerte und Schulden nicht einbeziehen. Dafür werden die Größenklassen, die darüber entscheiden, welche Informationspflichten ein Unternehmen zu erfüllen hat, angehoben: So kommen mehr Unternehmen als bisher in den Genuss der Erleichterungen, die für kleine und mittelgroße Kapitalgesellschaften bereits gelten. Ein neu in das HGB eingefügter § 241a befreit Einzelkaufleute, die an den Abschlussstichtagen von zwei aufeinander folgenden Geschäftsjahren nicht mehr als 500.000 Euro Umsatzerlöse und 50.000 Euro Jahresüberschuss aufweisen, von der Pflicht zur Buchführung und Erstellung eines Inventars.
Eine weitere Modernisierung bei der Bilanzierung besteht darin, dass immaterielle selbst geschaffene Vermögensgegenstände des Anlagevermögens wie zum Beispiel Patente oder Knowhow künftig in der HGB-Bilanz anzusetzen sind. Das ist vor allem für innovative Unternehmen wichtig, die intensiv forschen und entwickeln. Das betrifft beispielsweise die chemische und pharmazeutische Industrie, die Datenverarbeitungstechnik oder den modernen Maschinenbau. Auch wissenschaftsintensive Neugründungen können ihre Entwicklungen – ihr Potenzial – künftig in der Handelsbilanz zeigen. Kreditgeber und Aufsichtsorgane sollten im Auge behalten, wie Unternehmen mit diesen neuen Möglichkeiten umgehen, und ob sie dabei weiterhin eher vorsichtig als zu optimistisch (oder gar übertrieben) bewerten.
Von großer Bedeutung ist, dass Rückstellungen von Unternehmen für künftige Verpflichtungen in Zukunft realistischer bewertet werden. So ließen sich insbesondere bei Pensionsrückstellungen die wahren Belastungen der Unternehmen nicht ablesen, weil die bisherigen Wertansätze nach übereinstimmender Auffassung zu niedrig waren. Künftige Entwicklungen (Lohn-, Preis- und Personalentwicklungen) sollen stärker als bisher berücksichtigt werden.
Vorgesehen ist weiter eine erhöhte Transparenz hinsichtlich so genannter Zweckgesellschaften. Das ist eine der notwendigen Reaktionen aus der Analyse von Ursachen der 2008 ausgebrochenen Wirtschaftskrise. Die wirtschaftliche Situation von Zweckgesellschaften und das wirtschaftliche Risiko für Konzerne sollen wahrheitsgetreuer als bisher aus dem Jahresabschluss zu erkennen sein. Es geschah leider zu oft, dass Konzerne wirtschaftlich riskante Geschäfte durch eigens gegründete Zweckgesellschaften erledigen ließen. Dort drohende oder schon eingetretene Verluste wurden so lange es ging verschleiert.
So schlimm die Auswirkungen der im Jahr 2008 ausgebrochenen Wirtschaftskrise sind und noch sein werden, haben sie uns doch davor bewahrt, dass Ideen realisiert wurden, das Bilanzrecht aufzuweichen. Es gab Tendenzen, bei der Bewertung von Vermögen und Schulden subjektiven Vorstellungen zu breiten Raum zu geben. Die Erfahrungen aus der US-Wirtschaft haben drastisch bewiesen, dass dies bis zum Anlagebetrug führen kann. Dem wird dann Vorschub geleistet, wenn Werte angesetzt werden, die nicht nachvollziehbar und überprüfbar sind, sondern aus überhöhten Zukunftserwartungen resultieren oder schon sichtbare Verluste nicht einschließen.
Im Bilanzrecht und seiner Modernisierung zeigt sich beispielhaft der Sinn und der Nutzen von Rechtsvorschriften. Unter Recht ist die Summe der geltenden Rechtsnormen (geschriebene und ungeschriebene) zu verstehen. Sie sind Regeln für das Verhalten einzelner Menschen oder menschlicher Gemeinschaften, die dazu dienen, deren Zusammenleben zu ordnen und Konflikte zu lösen, und deren Einhaltung, falls erforderlich, durch organisierten Zwang durchzusetzen. Vielfach muss man sich wundern, dass und warum Verhaltensregeln in Paragraphen gefasst sind, deren Inhalt doch selbstverständlich sein sollte.
Denken wir an die zehn Gebote aus der christlichen Religion. Leider ist die Einhaltung notwendiger Verhaltungsweisen nicht für alle Menschen selbstverständlich – dann muss dies im Interesse aller erzwungen werden. Die Normierung von Verhaltensweisen hat jedoch einen weiteren Vorteil: Es besteht die Möglichkeit, sich darüber zu informieren, was allgemein als erforderlich angesehen wird und wie dem Rechnung getragen werden kann. Ein Beispiel bietet das Handelsgesetzbuch. Es beschreibt Herangehensweisen, die sich teils seit Jahrhunderten bewährt haben, und es gibt Antworten auf das „Wie?“ der Anwendung.
So ist in § 252 Abs. 1 Nr. 4 HGB das Prinzip der Vorsicht wie folgt niedergelegt:
„Es ist vorsichtig zu bewerten, namentlich sind alle vorhersehbaren Risiken und Verluste, die bis zum Abschlussstichtag entstanden sind, zu berücksichtigen …“
Bewährt hat sich bei der Bilanzierung außerdem das Realisationsprinzip. Es besagt, dass Gewinne erst dann in den Bilanzen auszuweisen sind, wenn sie realisiert (wirklich erzielt) sind und nicht schon, wenn sie für möglich gehalten werden. Ein Abweichen davon öffnet Tür und Tor dafür, ein Unternehmen besser darzustellen als es in der Realität ist.
Demgegenüber sind die angelsächsischen Bewertungsmethoden nicht explizit auf den Gläubigerschutz ausgerichtet, sondern versuchen, in der Bilanz den aktuellen Verkehrswert von Wirtschaftsgütern und damit einen „wahren“ Wert eines Unternehmens auszuweisen.
In den Anhörungen zur Gestaltung des BilMoG hat besonders einer der Experten (Professor Dr. Küting – Universität des Saarlandes) davor gewarnt, der „Fair-Value-Konzeption“ zu folgen. Diese ist nur vermeintlich theoretisch überzeugend. Der Wert (value) soll „fair and true“ (gerecht und wahr) sein. Die geschickte Wortwahl „fair“ suggeriert, dass alle anderen Werte „unfair“ sind. Ein erwünschter wahrer Wert lässt sich allerdings nur in einer fiktiven Welt bilden; in der Realität vorfinden oder berechnen lässt er sich nicht. Nahezu alle Bilanzrechtler sind sich einig, dass es bei mehr als 95 % aller Vermögenswerte keinen objektiv feststellbaren Marktwert gibt. Und bei den Finanzinstrumenten haben Spekulation, Liquidationen und Notverkäufe gezeigt, dass viele Bilanzansätze weder fair noch wahr gewesen sind, sondern der Intransparenz und der Verschleierung Tür und Tor geöffnet haben.
Eine wesentliche Zielrichtung des neuen Gesetzes zur Modernisierung des Bilanzrechts (Bilanzrechtsmodernisierungsgesetz – BilMoG) besteht darin, das Verhältnis des deutschen Bilanzrechts zu internationalen Bilanzierungsregeln zu klären. Das ist besonders für kleine und mittlere Unternehmen von großer Bedeutung. Erhebliche Besorgnis war entstanden, nachdem im Jahr 2007 ein Entwurf internationaler Bilanzierungsregeln (IFRS) für kleine und mittelgroße Unternehmen bekannt gemacht wurde. Dies erfolgte durch das „International Accounting Standards Board (IASB)“ als international besetztes unabhängiges Gremium von Rechnungslegungsexperten, das die International Financial Reporting Standards (IFRS) entwickelt und bei Bedarf überarbeitet. Die Resonanz auf die vorgeschlagene IFRS Version war überwiegend negativ. Der große Wurf sei dem IASB nicht gelungen, hieß es einhellig bei Experten. Deshalb kam der Ersatz des deutschen Bilanzrechts durch internationale Standards nicht infrage. Die realisierte Alternative bestand darin, das deutsche Bilanzrecht im BilMoG so auszugestalten, dass es den internationalen Regeln entspricht – so weit sie akzeptabel waren oder für international tätige Unternehmen vorgeschrieben sind.
Das Verhältnis von nationalem Bilanzrecht zu internationalen Regeln ist von großer Bedeutung und wird es mit Sicherheit auch bleiben. Internationale Vergleichbarkeit der Rechnungslegung bildet ein praktisches Erfordernis. Bereits 1973 wurde das International Accounting Standards Committee (IASC), mit Sitz in London, als privatrechtlicher Verein nationaler Verbände von Rechnungslegern und Wirtschaftsprüfern gegründet. Über viele Jahre führte das IASC ein kaum beachtetes Schattendasein, bis die EU im Jahr 2000 beschloss, bei der Fortentwicklung von Rechnungslegungsvorschriften mit dem IASC zusammenzuarbeiten.
Die neuen Rechnungslegungsstandards heißen nunmehr International Financial Reporting Standards (IFRS); früher wurden sie als IAS bezeichnet. Der erste neue Standard wurde im Juni 2003 veröffentlicht. Weitere Standards werden laufend verabschiedet. Damit diese gesetzliche Wirkung entfalten, verabschiedet die Europäische Union die Standards in einem so genannten Endorsement-Prozess. Eine Überführung in nationales Recht ist nicht erforderlich, da die EU-Direktiven unmittelbar für alle Beitrittsländer der Europäischen Union gelten.
Die rund 7.000 börsennotierten Unternehmen in der EU müssen bereits für Geschäftsjahre, die am oder nach dem 1.1.2005 begonnen haben, ihre konsolidierten Abschlüsse nach Maßgabe der IFRS/IAS erstellen.
Für die große Mehrheit der deutschen Unternehmen (mittlere und kleinere) wird es aber vorrangig darauf ankommen, ihre Buchführung so zu gestalten, dass sie den Erfordernissen der Steuergesetzgebung (Steuerbilanz) entspricht. Wenn sich das Steuerrecht weiter internationalisiert, werden sich zwangsläufig auch die Vorschriften zur Ermittlung des Unternehmensvermögens und des Gewinns den internationalen Standards weiter annähern. Ihre länderübergreifende Vereinheitlichung ist Zukunftsperspektive, für die Termine noch nicht absehbar sind.
Quelle: BilMoG
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