Die Abgabenordnung ermöglicht es dem Fiskus, unwilligen „Kunden“ mittels einer Steuerschätzung auf die Sprünge zu helfen.
In diesen Fällen darf das Finanzamt eine Steuerschätzung durchführen
Finanzbehörden sind gesetzlich verpflichtet, die dem Staat zustehenden Steuern gleichmäßig zu erheben. Sie sind hierfür auf die Mithilfe der Steuerzahler angewiesen, die aus diesem Grunde umfangreiche Erklärungs- und Mitwirkungspflichten erfüllen müssen. Wer die Zusammenarbeit mit dem Fiskus verweigert, hat mit empfindlichen Maßnahmen zu rechnen. Zu diesem Zwecke verfügen die Finanzämter über ein stattliches Repertoire an verschiedenen Sanktionsmöglichkeiten.
Eine davon ist die Schätzung, mit der Steuern gewissermaßen Pi mal Daumen festgesetzt werden können. Grundsätzlich gilt: zu einer Schätzung ist das Finanzamt immer dann verpflichtet, wenn es die tatsächlichen steuerlichen Verhältnisse nicht anderweitig ermitteln kann. Das ist dann der Fall, wenn man entweder die Mitwirkung verweigert oder bestimmten Aufzeichnungs- oder Buchführungspflichten nicht nachkommt. In der Praxis am häufigsten anzutreffen ist die Schätzung, wenn man seine Steuererklärungen oder -anmeldungen (Einkommensteuer, Gewerbesteuer, Lohnsteuer, Umsatzsteuer, etc.) trotz Aufforderung überhaupt nicht oder nur unvollständig einreicht. Daneben ist eine Schätzung unter anderem in folgenden Fällen denkbar:
- Verweigert man im Rahmen einer Außenprüfung die Mitwirkung, indem man Auskünfte nicht erteilt oder Unterlagen nicht vorlegt, kann der Prüfer ebenfalls schätzen. Rückt man beispielsweise die Rechnung für einen Firmenwagen nicht heraus, könnte der Listenpreis geschätzt und der entsprechende geldwerte Vorteil versteuert werden. Auch eine mangelhafte Buchführung (z. B. lückenhafte Aufzeichnungen einer Barkasse) berechtigt das Finanzamt zu einer Schätzung.
- Bei Steuerhinterziehung liegt es meistens in der Natur der Sache, dass keine ordentliche Buchführung vorliegt, so dass das Finanzamt auch hier häufig Schätzungen vornehmen wird. Fliegen beispielsweise Schwarzgeschäfte ohne Rechnung auf, so wird die Behörde schlussfolgern, dass es weitere derartige Fälle gibt.
So schätzt das Finanzamt
Eine Schätzung darf nicht das Ziel verfolgen, die Abgabe einer Steuererklärung zu erzwingen. Hierfür stehen dem Finanzamt andere Möglichkeiten (z. B. Verspätungszuschlag, Zwangsgeld) zur Verfügung. Das bedeutet allerdings nicht, dass einer Schätzung andere Zwangsmaßnahmen vorangehen müssen. Jedenfalls sind Strafschätzungen – also absichtliche überhöhte Schätzungen – unzulässig, um die Nichtabgabe sanktionieren. Das Finanzamt ist vielmehr verpflichtet, alle die für die Besteuerung maßgeblichen Umstände zu erforschen und möglichst realistisch zu schätzen. Allerdings darf eine Schätzung auch nicht zu einer Besserstellung gegenüber jenen Steuerpflichten führen, die ihren Pflichten gewissenhaft nachkommen. Das Problem dabei ist nur: wie soll das Finanzamt zutreffend schätzen, wenn es keinerlei Auskünfte oder Unterlagen bekommt? Einen wichtigen Anhaltspunkt können beispielsweise die Steuererklärungen der Vorjahre bieten. Wenn es um Unternehmensgewinne geht, werden oftmals auch branchenübliche Richtwerte als Schätzungsgrundlage herangezogen. Keinesfalls kann das Finanzamt aber vage Erkenntnisse verwerten, die es nur vom Hörensagen kennt – so dürfen etwa aufgrund einer unsubstantiierten anonymen Anzeige noch keine Schwarzlohnzahlungen unterstellt werden. Dagegen können Mitteilungen von Dritten (z. B. Kontrollmitteilungen anderer Behörden) durchaus in eine Schätzung einfließen. Das Finanzamt hat bei einer Schätzung einen erheblichen Ermessensspielraum. Es ist verständlich, dass es diesen nach oben hin ausnutzen wird. Begeht die Behörde einen groben Fehler und schätzt erheblich zu hoch, ist der Bescheid aber deswegen keinesfalls nichtig, sondern bestenfalls rechtswidrig. Eine Nichtigkeit läge nur dann vor, wenn das Finanzamt bewusst und willkürlich den Bogen überspannt hätte. Ein solcher vorsätzlicher Schätzungsfehler ist in aller Regel nicht gegeben und wäre zudem auch nur schwer nachzuweisen.
Schätzung befreit nicht von den steuerlichen Pflichten
Ein Schätzbescheid wird üblicherweise unter dem sogenannten Vorbehalt der Nachprüfung erlassen. Das bedeutet, die Behörde kann diesen jederzeit wieder ändern – etwa dann, wenn man seine Steuererklärung doch noch abgibt. Irgendwann wird der Bescheid jedoch für endgültig erklärt und damit nicht mehr anfechtbar. So mancher Steuerpflichtige könnte nun auf die Idee kommen, sich einfach jedes Jahr schätzen zu lassen und damit die Kosten für einen Steuerberater zu sparen. Von einem solchen Vorgehen ist abzuraten, denn eine Schätzung bedeutet nicht, dass man keine Erklärung mehr abgeben muss. Bekommt man einen Schätzbescheid, gibt es zwei Möglichkeiten:
Schätzung ist zu niedrig
Keinesfalls sollte man sich jetzt freuen und warten, dass der Bescheid bestandskräftig wird. Kommt es nämlich in der Folgezeit zu einer Betriebsprüfung, könnte der Schwindel auffliegen. In diesem Fall wäre es kein Wunder, wenn das Finanzamt vorsätzliches Handeln und damit Steuerhinterziehung unterstellt. Besser ist es, reinen Tisch zu machen und eine wahrheitsgemäße Steuererklärung abzugeben.
Schätzung ist zu hoch
In diesem sehr wahrscheinlichen Fall sollte man umgehend – in jedem Fall aber innerhalb der vierwöchigen Rechtsbehelfsfrist – einen Einspruch einlegen und eine vollständige Steuererklärung vorlegen. Das Finanzamt wird daraufhin die Steuer in tatsächlicher Höhe festsetzen und einen geänderten Steuerbescheid erlassen. Bis über den Einspruch entschieden ist, muss man die geschätzte Steuer jedoch zunächst bezahlen. Wer das vermeiden will, kann einen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung stellen.
Fazit: es lohnt sich nicht, den Kopf in den Sand zu stecken
Wer Ärger vermeiden will, sollte seinen steuerlichen Pflichten ordentlich und pünktlich nachkommen. Denn das Finanzamt verfügt über die besseren Möglichkeiten und sitzt zweifellos am längeren Hebel. Eine Schätzung bringt außer einer Menge Scherereien überhaupt nichts, denn um die Steuererklärung kommt man auf Dauer nicht herum. Kein Mitleid haben übrigens Steuerzahler zu erwarten, die erst keine Erklärung abgeben, dann auch noch den Einspruch gegen den Schätzbescheid versäumen und danach ihre Erklärung abgeben. Ein Finanzgericht hatte in einem solchen Fall die Bearbeitung der Steuererklärung verweigert, weil der Steuerpflichtige grob schuldhaft gehandelt habe.
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